Es sagt sich immer so schön: Der hungernde Süden. Jetzt waren wir da – und es stimmt. Sie hungern. Wir wühlen uns im 4-4 durch die Sandpisten gewühlt, stundenlang, tagelang, sind stecken geblieben, haben das Auto ausgegraben, haben anderen bei ihren Pannen geholfen, geschoben, Werkzeug gesucht, haben bettelnden Kindern vor dem Autofenster geschenkt, was sie haben wollten: kein Geld. Wasser. In den wertvollen, immer wieder verwendbaren Plastikflaschen, nichts wird hier weggeworfen. Mit uns wühlen sich riesige Schwerlaster durch die Dünen aus Staub und Sand, die zwischen trockenen Bäumen liegen und „Straße“ heißen: Schwerlaster voller Nahrung von Hilfsorganisationen. Es ist, als fütterte die Welt ein Volk auf dem Mond, alles, was überleben hilft, kommt in mehreren Tagen Anfahrt über die Sandpiste. Denn Feldbau ist fast unmöglich geworden. Der Regen fehlt, und wenn es regnet, gibt es keine Auffangsysteme zur Speicherung.Brunnen – gab es mal, von Hilfsorganisationen gebaut. Doch das sind geschlossene Pumpsysteme, zugestezt mit dem ständigen roten Staub, nicht reparabel mit den Mitteln der Menschen. Das Wasser befindet sich unterhalb einer dicken Felsschicht, neu boren ist teuer, und in der Stadt die Ausrüstung und Spezialisten dafür zu finden, wird ein Abenteuer.
Im Krankenhaus in Ejeda arbeitet Dr. Rinja, ein junger, lustiger, motivierter Arzt. Er hat um Hilfe für die Schulen gebeten: Voilà, hier sind wir. Er fährt mit uns hinaus zu den Schulen „im Busch“ (Büsche gibt es allerdings wenige), übersetzt für uns, denn die Menschen hier sprechen einen ganz anderen Dialekt. Mit von der Partie ist auch Nary, Spezialist für nachhaltige Forst- und Landwirtschaft, den wir aus der Hauptstadt Tana mitgenommen haben. Er wühlt mit den Kindern zusammen im Dreck, zeigt ihnen, wie man Dünger mit Erde mischt – denn im Süden wird der Viehdung nicht benutzt. Der Grund? Es ist keine Tradition. Wir haben zwei Mangobäumchen mitgenommen, sie heißen Heinz und Fritz und werden – mit Dünger! – und mit großem Hallo eingepflanzt, ein Symbol für die Hoffnung.
Fünf Schulen sehen wir uns an, um eine auszusuchen, mit der wir zusammenarbeiten wollen. Das Ende vom Lied: Wir helfen allen, bis auf eine, die keine motivierten Lehrer besitzt. Hier versuchen wir, die Schüler auf die beiden Nachbarschulen aufzuteilen. Schule – das bedeutet: ein Unterstand aus Zweigen oder ein paar Lehmwände, oft nach dem letzten Cyclon halb zusammengebrochen, und ein undichtes Dach, mitten in der Steppe. Flaches Land, hier und da Bäume, die tief genug wurzeln, um zu überleben. Wasser gibt es am Fluss Linta, aber dorthin müssen die Kinder der Schulen – bis auf eine – sechs Stunden lang laufen, und was sie mitbringen, ist dann eher eine schmutzige Brühe.
Aber jetzt zu den einzelnen Schulen – die erste – „femmes fortes“ – die Schule der starken Frauen: Hier schmeißen 4 Damen den Laden, 3 davon unbezahlt. Der Staat zahl nur Lehrer, die „Funktionäre“ sind, als die zweite Prüfung gemacht haben UND eine Menge Bestechungsgelder gezahlt haben, um Funktionär zu werden. Nur Prüfung machen nützt nichts. Also arbeiten die Lehrer nebenbei auf dem Feld, um zu überleben, oder haben Vieh, was dazu führt, dass sie oft nicht zur Schule kommen können. In „unseren“ Schulen wird es ab jetzt Gehälter geben, damit sich das ändert. Die Kinder der „femmes-fortes“-Schule sind wunderbar angstfrei und zeigen uns mit großem Hallo ihr winziges Schulhaus (für 200 Kinder, gelernt wird abwechselnd). Wie überall gibt es keine Möbel, man sitzt auf dem Boden, morgens ist es eiskalt. Eine Tafel wäre toll … Und wir starten ein Luftballon-Regenbogen-Projekt und springen Seil, ehe die Mango gepflanzt wird. Wir versprechen, das Dach zu reparieren, Möbel und Hefte zu besorgen, wir werden im Juli wiederkommen und hier zwei unserer Kurzfilme drehen, denn diese Kinder sind einfach herrlich. Sie bekommen von PAM (Programme Alimentaire Mondiale) Mittagessen: etwas Reis. Danke, PAM! Das macht so viel aus! Allerdings gibt es immer wieder mal wochenlang keine Lieferung, hier wollen wir einspringen.
Als nächtes die Schule der „Chasseurs“, der Jäger, die singend und klatschend Michael verfolgen, der sie eigentlich nur knipsen wollte und sich bei dem Ansturm etwas gejagt fühlt. Die Kinder sind einfach zu begeistert, dass wir da sind. Das Schulgebäude hat keine Wände, ist morgens daher sehr kalt, und keine Möbel. Drei der Lehrer kommen zu Fuß von sehr weit her. Wir werden Fahrräder für die Schule besorgen, eine gute Idee von Dr. Rinja. Und dann gibt es ein Malprojekt und Orangen – ein Fest.
Auf dem Weg zur letzten Schule werden wir von einer Schule „überfallen“, die gar nicht auf dem Programm steht. Sie blockeren den Weg, singen und tanzen, die Ältesten des Dorfs lagern seit Stunden in der brennenden Sonne am Straßenrand, um uns aufzuhalten. Der Gedang bedeutet übersetzt: Gebt uns eine Schule! Gebt uns eine Schule! Es sei gar nicht weit, ob wir nicht mitkommen könnten …? Die drei jungen, sehr motivierten Lehrer führen uns, es ist doch ein bisschen weiter, und da stehen zwei von den Eltern errichtete Unterstände für den Unterricht. Sie hätten so gerne richtige Mauern, für die Zeit, in der es wirklich kalt wird, nicht nur morgens, so wie jetzt. Und sie hätten gerne Hefte, Tafeln, Bänke … Sie bekommen kein Essen von irgendeiner Hilfsorganisation, darum trauen sie sich uns nicht mal zu bitten. Aber wir möchten hier ein Patenprogramm aufbauen, ohne Essen SO motiviert zu sein, dass man ein Auto abfängt, ist schon was. Zweimal die Woche gibt es ab jetzt von uns Schulessen. Und natürlich andere Hilfen … Unsere wertvolle, abschließbare Truhe mit Springseilen, Holzbuchstaben für die Kleinen und Puzzeln haben wir da gelassen, da können sie die Hefte, Tafeln und Kreiden hineintun, die wir besorgen, denn sonst gibt es ja keinen abschließbaren Raum. Auch hier wollen wir im Juli einen Kurzfilm drehen. Bis bald! Hoffentlich haben wir dann schon viele Paten gefunden, diese Kinder verdienen es wirklich, und die Lehrer (gehaltslos, natürlich) auch.
Die letzte Schule, wir nennen sie „patience“, hat den ganzen Tag geduldig auf uns gewartet. Toll, jetzt, kurz vor dem Abend, gibt es noch Springseile und die zweite Mango zum Einpflanzen. Die Schule ist im Cyclon komplett zerstört worden und besteht momentan aus Unicef-Planen: Sehr gut als Wände für Schatten und gegen Regen, nur leider knattern die Planen im ständigen Wind, der über die Ebene pfeift, so laut, dass Unterricht fast unmöglich ist. Bänke gibt es ein paar, Essen von ADRA (einer Organisation der Adventisten). Der Dorfchef im hübschen Bettbezug freut sich, dass wir uns um Mauern kümmern wollen und um Schulmaterial.
Warum sehen die Kinder denn alle so fröhlich aus? Die sind zwar dünn und dreckig, aber alle relativ gesund … Ja, das liegt daran, dass man nur die Gesunden sieht. Die, die nicht mehr laufen, sondern in den Hütten liegen, weil sie verhungern oder zu krank sind, sieht man nicht. Bis auf unseren Glücksfall – Zafenain. Sie taucht plötzlich auf und ist da, abgemagert bis auf die Knochen, aber aktiv. Ein gelber Ballon, und sie ist glücklich. Vor drei Monaten sah sie angeblich noch ganz anders aus. Da stimmt etwas nicht, die ist nicht nur hungrig, die ist schwer krank, die können wir nicht hier lassen. Wir schnappen uns das Mädchen, samt Mutter und Dorfältesten, und eine Odyssee aus Verhandlungen, Telefonaten und Organisation entsteht. Ein Glück, dass Dr. Rinja alle kennt. Ein Telefon für den Go-Between aus dem Dorf wird besorgt. Im Hôpital in Betioky gibt es keinen Arzt („der ist gerade für länger in der Hauptstadt“), nur eine Hebamme. Die ist für das Wiegen und manchmal Füttern von unterernährten Kleinkindern zuständig, die Mütter lungern ums Krankenhaus herum, wir rücken alle unsere Vorräte raus, verteilen Kekse, Wasser, Notschokolade. Zafenain jedoch muss in ein richtiges Krankenhaus mit Ärzten – und dort landet sie dann auch schließlich. Sie wiegt 20 kg und ist 1,44 groß und 15 Jahre alt. Die Testes auf Malaria, Bilharziose, Typhus und Amoebenruhr sind positiv und weder ihre schwer Anämie noch der Rest sind eigentlich mit dem Leben noch vereinbar. Aber sie strahlt immerzu. Es gibt neue rote Plastiksandalen und ein sauberes neues Tuch, in das sie sich wickeln kann, ehe sie in die Klinik geht. Klinik heißt, Verwandte kochen für sie, wir besorgen Töpfe, Essen und Bettzeug, einen Monat wird sie dort bleiben. Krankenschwestern gibt es nicht. Medikamente und Bluttransfusionen aber, Gott sei Dank. Ein Kind wird gerettet. Da wir sie hinterher wieder „rauffüttern“ müssen, sie aber noch 9 Geschwister und jede Menge hungernder Nachbarskinder hat, werden wir unser KERE-Hungerhilfe-Programm in diesem einem Dorf für 90 Tage weiterführen. Wie wunderbar, dass man helfen kann! Fast wie Geburtstag. Das Dorf schenkt uns zum Dank ein Huhn, aber wir lassen das Huhn dort, es soll Eier für die Kinder legen.
Und auch bei Zafenain und ihren Freunden lassen wir Ballons. Ein Abschied in bunt. Aber kein wirklicher Abschied. Wir bleiben dran.
Und hier ist das Team im Süden: